Nach dem Mord ist vor dem Mord

Ein Kommentar zur Hinrichtung von Osama Bin Laden

Von Michael Pröbsting

 

US-Präsident Obama und die imperialistische Welt prahlen damit, nach zehn Jahren Jagd den Al-Kaida-Führer Osama Bin-Laden in Pakistan getötet zu haben. Setzen wir einmal voraus, daß die amerikanischen Killerkommandos tatsächlich Bin-Laden getötet haben (bei den z.T. höchst widersprüchlichen Angaben über den Hergang kann man da sich nicht ganz sicher sein). In all dem bürgerlichen Propagandanebel gilt es einige Punkte klarzustellen.

 

Staatsterrorismus und Kolonialpolitik

 

Erstens sollte man die Dinge beim Namen nennen: das US-imperialistische Militär hat Osama Bin-Laden nicht einfach „getötet“ oder „in einem Feuergefecht erschossen“, sondern kaltblütig hingerichtet. Entgegen den ersten Behauptungen müssen nun selbst die Sprecher des Weißen Hauses zugeben, daß Bin-Laden unbewaffnet war. Seine Tochter gibt an, daß die US-Soldaten Bin-Laden zuerst festgenommen und dann exekutiert haben.

 

Zweitens mag es für pro-westliche Medien eine Selbstverständlichkeit sein, aber es ist doch bezeichnend, daß US-Truppen einmal mehr ohne Wissen und Zustimmung in einem fremden Land militärische Handlungen setzen.

 

Eine solche Politik der USA überrascht uns als revolutionäre KommunistInnen nicht. Aber sie zeigt auch einer breiten Öffentlichkeit einmal mehr, wieviel die imperialistischen Großmächte – allen voran die USA – von Menschenrechten und Völkerrecht halten. Die Ermordung von Bin-Laden in Pakistan ist ein kleines Beispiel für imperialistischen Staatsterrorismus und Kolonialpolitik, der die Großmächte auszeichnet. Auch wenn wir einen Bin Laden nun wahrlich keine Träne nachweinen, ist die Vorgehensweise der USA hinsichtlich seiner Ermordung nur ein weiteres Beispiel für ihre heuchlerische Politik.

 

Massenmord

 

Die USA rechtfertigen ihre Killerpolitik damit, daß Al-Kaida am 11. September 2001 dreitausend unschuldigen ZivilistInnen ermordet habe. In der Tat war diese Aktion kein gerechtfertigter Akt des antiimperialistischen Befreiungskampfes, sondern eine reaktionäre terroristische Tat. Sie richtete sich nicht gegen die für den imperialistischen Wahnsinn Verantwortliche, sondern großteils gegen Lohnabhängige, die in den WTC-Türmen arbeiteten. (Die nicht verstummen wollenden Gerüchte, Hinweise und Zweifel, ob der 9/11 tatsächlich ein Werk Al-Kaida war oder ob es hier nicht eine (Mit)Täterschaft von US-Geheimdiensten gab sind wohl getrost als Hirngespinste an zusehen. Es ist vielleicht nicht auszuschließen, daß genannte Geheimdienste mehr als ein Auge zudrückten, als sie von einem möglichen Anschlag erfuhren.)

 

Aber die US-Propaganda ist blanker Hohn angesichts der vielen hunderttausenden Toten, die die US-amerikanische Kriegs- und Besatzungspolitik in Irak und Afghanistan forderten und fordern. Die massenmörderische Politik des US-Imperialismus ist Al-Kaida zur hundertfachen Potenz!

 

Vorwand für imperialistische Kriege

 

Die USA haben nun scheinbar Bin-Laden getötet und damit den angeblich größten und gefährlichsten Feind des Landes. Doch die imperialistische Kriegspolitik der weltgrößten Supermacht wird sich dadurch nicht verändern. Für die US-Regierung Bush und Obama war Bin-Laden und Al-Kaida immer nur ein Vorwand. Die USA haben seit dem 11. September 2001 zuerst Afghanistan und dann Irak angegriffen und besetzt. (letzterer hatte nicht einmal in der Lügenpropaganda der Bush-Regierung etwas mit Al-Kaida zu tun).

 

Sicherlich, Obama verkauft sich deutlich besser als ein Vorgänger Georg W. Buch – die Latte lag ja auch nicht gerade hoch. Doch die US-Außenpolitik ist deswegen nicht friedlicher geworden. Unter Obama wurde der Krieg in Afghanistan intensiviert – die dortige US-Streitmacht hat sich seit 2009 verdreifacht – und auch auf Pakistan ausgeweitet. Und seit einigen Wochen bomben US-Kriegsflugzeuge auch in Libyen (und vielleicht auch bald in Syrien).

 

Die imperialistischen Großmächte – und allen voran die stärkste unter ihnen, die USA – führen Kriege nicht für Menschenrechte oder gegen den Terrorismus. Sie führen sie vielmehr zur Ausweitung von politischen Einflußzonen und der Kontrolle über wichtige Rohstoffquellen. Dafür ist der Imperialismus zu jedem Massenmord bereit. Deswegen werden die imperialistischen Kolonialkriege weitergehen – mit oder ohne Bin-Laden. In diesem Sinne gilt: Nach dem Mord an Bin-Laden ist vor dem Mord.

 

Gleichzeitig ist es für die USA gerade in der jetzigen historischen Periode (einer revolutionären Periode), in der sie im Vergleich zu noch vor einem Jahrzehnt deutlich an politischer Macht eingebüßt haben, umso wichtiger der Öffentlichkeit „erfolgreiche“ Einsätze als Beweis ihrer Stärke zu liefern. Nicht ganz zufällig kommt gerade jetzt – nach einem Jahrzehnt – eine solche Erfolgsmeldung. Angesichts der revolutionären Entwicklungen im arabischen Raum entgleitet den USA immer weiter der Einfluß auf diese Gebiete. Bin Laden auf den Präsentierteller ist somit ein wichtiges politisches Signal der USA.

 

Revolutionärer Antiimperialismus und reaktionärer „Antiimperialismus“

 

Unsere Ablehnung der Ermordung Bin-Ladens durch die US-Killerkommandos bedeutet jedoch keinerlei politische Sympathie für Al-Kaida. Die ArbeiterInnen und Unterdrückten dieser Welt hätten allen Grund gehabt, ihn vor ihr eigenes Tribunal zu stellen. Denn der Terrorismus von Al-Kaida richtete sich in Wirklichkeit nicht in erster Linie gegen den Imperialismus. Vergessen wir nicht: der nationale Befreiungskampf in Afghanistan, Irak, Palästina oder Libanon und die zahlreichen heldenhafte Widerstandsaktionen gegen die US-amerikanischen, europäischen oder israelischen Besatzer wurden und werden nicht von Al-Kaida-Einheiten durchgeführt, sondern von kleinbürgerlichen nationalistischen und islamistischen Kräften wie den Taliban, der schiitischen al-Sadr-Bewegung und verschiedenen sunnitischen Guerillaorganisationen im Irak, Hamas, Hisbollah, der PFLP usw.

 

Al-Kaida konzentrierte sich dagegen – als eine besonders reaktionäre sunnitisch-wahabitische Strömung des Islamismus – vor allem auf verbrecherische Anschläge gegen Schiiten (im Irak) oder andere „Ungläubige“. Unser Antiimperialismus hat nichts mit dem „Antiimperialismus“ von Bin Laden und der Al-Kaida zu tun. Denn der revolutionäre, kommunistische Antiimperialismus richtet sich gegen die herrschende Klasse der Großmächte und ihre Handlanger. Unser Feind sind nicht die „Ungläubigen“. Unsere Feinde sind nicht mit religiösen Hirngespinsten definiert, sondern auf der Basis einer wissenschaftlichen Weltanschauung. Denn nur auf dieser Basis lässt sich ein Klassenkampf führen, der die unterdrückte Klasse – die ArbeiterInnen weltweit – auch in ihre Befreiung führt. Die kleine Schicht von Konzernbossen, führenden PolitikerInnen, Militärchefs und SpitzenbürokratInnen der Großmächte sowie deren Marionetten sind somit der Feind – unabhängig von ihrer Religion. Sie gilt es mit allen notwendigen Mitteln zu bekämpfen und besiegen.

 

Dieser Kampf schließt den Kampf für das nationale Selbstbestimmungsrecht der unterdrückten Völker und gegen die koloniale Besatzung in Afghanistan, Irak, Palästina usw. mit ein. Diesen Kampf gilt es jedoch nicht unter dem Banner einer bestimmten religiösen Strömung zu führen. Vielmehr führen wir ihn unter dem Banner der nations- und religionsübergreifende Einheit der ArbeiterInnenklasse und der Unterdrückten und einer sozialistischen Zukunft, in der die Wirtschaft entsprechend den Bedürfnissen der Menschen geplant und die gesellschaftlichen Entscheidungen demokratisch durch die in Räten organisierten Massen getroffen werden.

 

Kleinbürgerlicher Terrorismus und roter Terror

 

Diesen Kampf kann die ArbeiterInnenklasse nicht mit den Mitteln des individuellen, kleinbürgerlichen Terrorismus führen. Laut diesem Konzept verüben kleine Verschwörergruppen Anschläge gegen einzelnen Repräsentanten des herrschenden Systems und destabilisieren dadurch deren Macht und spornen die Unterdrückten zum Widerstand an. In Wirklichkeit dienen solche Anschläge meist nur den Herrschenden als Vorwand für verstärkte Repression. Die Unterdrückten nehmen in dieser Logik bloß eine passive Statistenrolle ein, die im „besten“ Fall Applaus spenden und Sympathie verspüren sollen bzw. dadurch zur Erkenntnis gelangen sollen denselben Weg zu gehen. Der erfolgreiche Kampf für die Befreiung muß sich vor allem auf die breite Mobilisierung und Selbstorganisierung der ArbeiterInnen und Unterdrückten stützen. Die arabische Revolution zeigt eindrucksvoll, daß wenn Millionen Menschen sich erheben, die herrschende gesellschaftliche Ordnung viel mehr erschüttert wird, als durch die Liquidierung einzelner Spitzenpolitiker oder Konzernherren. Allerdings muß diese gewaltige Energie und Leidenschaft des Kampfes um Befreiung mit einem den gesellschaftlichen Klassenkampfbedingungen angepaßten Programm verbunden und in einen konkreten Plan für die Vorantreibung des Kampfes hin zum bewaffneten Aufstand umgemünzt werden. Dies ist ohne die Existenz einer revolutionären Kampfpartei unmöglich.

 

Unsere Ablehnung des reaktionären Terrorismus von Al-Kaida hat jedoch nichts mit Pazifismus zu tun. Der Befreiungskampf erfordert natürlich auch verschiedenste Gewaltmaßnahmen gegen die herrschende Klasse und ihre Handlanger. Nicht zufällig sprachen die Bolschewiki vom gerechtfertigten „Roten Terror“ gegen die Feinde der Revolution. Es ist eine der auffälligsten politischen Degenerationserscheinungen vieler sogenannter MarxistInnen im sozialdemokratischen, stalinistischen und zentristischen Lager, daß sie die Notwendigkeit des Bürgerkrieges, des „roten Terrors“ ablehnen und einen friedlichen Übergang zum Sozialismus für möglich halten. Doch die Erfahrung der ArbeiterInnenklasse seit über 150 Jahren zeigt, daß jede grundlegende gesellschaftliche Umwandlung, jede tatsächliche Fortschritt der Menschheit nur mit der organisierten Gewalt der unterdrückten Klasse erkämpft werden kann. Lenin faßte diese Erfahrungen mit den Worten zusammen:

In Revolutionszeiten hat der Klassenkampf stets und in allen Ländern unvermeidlich die Form des Bürgerkriegs angenommen, ein Bürgerkrieg jedoch ohne schwerste Zerstörungen, ohne Terror und ohne Einschränkung der formalen Demokratie im Interesse dieses Krieges ist undenkbar.“ (W. I. Lenin: Brief an die amerikanischen Arbeiter (1918); in: LW 28, S. 55f.)

 

Dieser Kampf für den revolutionären Sturz des Kapitalismus ist umso dringender, als mit oder ohne Bin-Laden die imperialistischen Kolonialkriege und die ganze Misere der bürgerlichen Gesellschaft von Armut, Hunger und Arbeitslosigkeit weitergehen werden. Es wird sie noch solange geben, solange der Kapitalismus bestehen bleibt. Deswegen müssen wir uns zum Kampf gegen dieses System in einer revolutionären Partei zusammenschließen. Die RKOB hat sich dem Ziel des Aufbaus einer solchen Partei verschrieben.