Ein bemerkenswerter Kommentar

Ein bürgerlicher Wissenschaftler zu MigrantInnen und Kolonialismus

 

Anmerkung der Redaktion: Unsere Organisation RKOB wurde von Mitgliedern, die vormals in der Liga für die Fünfte Internationale (LFI) organisiert waren gegründet. Den folgenden Text  zählt RKOB somit zu ihrem programmatischen Erbe.

 

Von Michael Pröbsting

 

Kürzlich veröffentlichte ein bürgerlicher Wissenschaftlicher und ehemaliger Professor an der Uni Wien in der Tageszeitung „Die Presse“ einen Kommentar über MigrantInnen. (1) Marian Heitger, so der Name des Autors, gibt darin seine Meinung zu der durch den reaktionären Hetzer Thilo Sarrazin ausgelösten Debatte über die angeblich nicht integrationswilligen und –fähigen MigrantInnen wieder.

 

Wenn Unterdrückung zur „Einordnung“ wird

 

Seine in dem Artikel dargelegten Ansichten sind für sich genommen bürgerlicher Durchschnitt und unspektakulär. Integration bedeutet für ihn – wie für alle bürgerlichen Kräfte bis hin zur Sozialdemokratie – Anpassung und Unterordnung der MigrantInnen unter die herrschende imperialistische Staatsnation und deren Gesellschaftsordnung. Kurz und gut, MigrantInnen werden aufgrund ihrer nicht-österreichischen Wurzeln, ihrer Nicht-Zugehörigkeit zur Staatsnation, national unterdrückt. In den verklausulierten, entsprechend dem Geist der herrschenden Ideologie geformten, Worten Heitgers verwandelt sich diese Unterdrückung in „Einordnung“:

Integration bedeutet konfliktfreie Zueinanderordnung, für den Immigranten zumeist die Einordnung in das gesellschaftliche System des Gastgeberlandes.

 

„Neue Form des Kolonialismus“

 

Interessant an dem Kommentar ist aber nicht dieser – von allen bürgerlichen Vor- und Nachdenkern wiedergekäuten – Standpunkt. Interessant ist vielmehr folgendes Eingeständnis:

Von der Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte ist viel die Rede. Wir selbst haben ja nicht genug Kinder. Man könnte sich fragen, ob hier nicht eine neue Form von Kolonialismus im Entstehen ist. Wir überlassen das Gebären und Aufziehen den anderen; wenn sie entsprechend qualifiziert sind, locken wir sie zur Steigerung unseres Wohlstands in unser Land und beruhigen unser Gewissen damit, dass wir Entwicklungshilfe leisten.

 

Diese Aussage ist gerade deswegen bemerkenswert ist, weil die bürgerlichen IdeologInnen die Wahrheit über die besondere Ausbeutung der MigrantInnen gerne verschweigen. Für uns MarxistInnen ist es klar, daß MigrantInnen in verschiedener Form von den KapitalistInnen überausgebeutet werden: sei es als billigere Arbeitskräfte, sei es als Arbeitskräfte, für deren Qualifikation der imperialistischen Gesellschaft keine Kosten erwachsen sind oder sei es als Netto-EinzahlerInnen in das Sozialsystem.

 

Überausbeutung

 

Wie wir in unserer neuen Studie über Migration in Österreich aufzeigen, verdienen migrantische Lohnabhängige deutlich weniger als ihre inländischen KollegInnen. MigrantInnen aus den halb-kolonialen Ländern (wie dem Balkan, der Türkei, Ostereuropa oder der sogenannten III. Welt) verdienen im Durchschnitt nur 40% bis 65% des Einkommens von Beschäftigten mit österreichischer Staatsbürgerschaft des gleichen Geschlechts. Diese enormen Lohnunterschiede gelten auch innerhalb derselben Branche. (2)

 

Ebenso mußten die Bürgerlichen wiederholt eingestehen, daß entgegen der Lüge von den MigrantInnen als „Sozialstaatsschmarotzer“ diese in Wirklichkeit auch hier ausgebeutet werden. So gab das Sozialministerium Zahlen vor kurzem für das Jahr 2008 bekannt, laut denen die Benachteiligung der ausländischen StaatsbürgerInnen eindeutig hervorgeht.

Sie zahlen 10,7 Prozent aller Beiträge, während ihr Anteil an den Geldleistungen bei 6,2 Prozent liegt. Somit sind AusländerInnen bei den v.a. beitragsfinanzierten Sozialleistungen deutliche NettozahlerInnen.“ (3)

 

Auf diese Weise eignet sich das imperialistische Kapital – in diesem Fall in Österreich – durch die Arbeit der MigrantInnen einen zusätzlichen Gewinn an. Der bürgerliche Ex-Professor Heitger umschreibt das verschämt als „Steigerung unseres Wohlstands in unser Land“. Wir MarxistInnen bevorzugen da eine klare Sprache und bezeichnen den durch die migrantischen ArbeiterInnen erwirtschafteten Zusatzgewinn als Extraprofit.

 

Mit der Bezeichnung der gesellschaftlichen Stellung der MigrantInnen als „neue Form von Kolonialismus“ kommt Heitger unserer Feststellung recht nahe, die wir in der Studie über Migration getroffen haben. Dort schrieben wir:

Somit kann sich der Kapitalist mittels der migrantischen Arbeitskräfte einen Extraprofit aneignen. In einen gewissen, übertragenen Sinn kann man sagen, daß die MigrantInnen die innere Kolonie des Imperialismus sind.“ (4)

 

Natürlich wird das bürgerlichen Lager – inklusive den sozialdemokratischen ChauvinistInnen und Zwangseindeutscher wie Häupl und Rudas – auch in Zukunft die Sache so darstellen, als hätten die MigrantInnen eine Bringschuld und müßten aus Dankbarkeit ihre gesellschaftliche Unterdrückung still akzeptieren. Aber ungewollte Eingeständnisse – wie jene des bürgerlichen Ex-Professors – über „Formen des Kolonialismus“ bei den MigrantInnen zeigen, daß selbst bei Verfechtern der herrschenden Ordnung die Wirklichkeit nicht vollkommen geleugnet werden kann.

 

Vollständige Gleichberechtigung der MigrantInnen!

 

Gegen die nationale Unterdrückung und Überausbeutung gilt es anzukämpfen und für die vollständige Gleichberechtigung der MigrantInnen einzutreten. Das beinhaltet unter anderem gleicher Lohn für gleiche Arbeit, das bedeutet das Recht auf Muttersprache in Schulen und Ämtern und volle Staatsbürgerrechte für alle hier Lebenden.

 

Eine solche Gleichberechtigung ist im Rahmen der herrschenden kapitalistischen Gesellschaftsordnung nicht möglich. Sie wird erst durch einen revolutionären Sturz des Kapitalismus und den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft Wirklichkeit. Um dieses Ziel zu erreichen, arbeitet die LSR für den Aufbau einer multinationalen revolutionären ArbeiterInnenpartei, in der migrantische und inländische ArbeiterInnen und Jugendliche gemeinsam kämpfen.

 

Anmerkungen:

(1) Marian Heitger: Wer Integration will, darf Kontroversen nicht ausweichen, Die Presse, Print-Ausgabe, 08.11.2010, http://diepresse.com/home/meinung/gastkommentar/608304/Wer-Integration-will-darf-Kontroversen-nicht-ausweichen

(2) Michael Pröbsting: Rassismus, Migration und revolutionäre Integration; in: Unter der Fahne der Revolution (FAREV), Nr. 6, S. 21 (Das FAREV ist das theoretische Journal der LSR); eine Kurzfassung der Studie findet sich in der Monatszeitung der LSR, BEFREIUNG Nr. 191, sowie auf unserer Homepage unter dem link www.sozialistische-revolution.org/phpwcms/index.php?id=31,884,0,0,1,0

(3) AusländerInnen und der Sozialstaat Österreich. AusländerInnen zahlen mehr in das Sozialsystem ein als sie heraus bekommen. http://www.bmsk.gv.at/cms/site/dokument.html?channel=CH0106&doc=CMS1255697765939. Siehe dazu auch Michael Pröbsting: Studie des Ministeriums beweist: MigrantInnen werden bei Sozialleistungen ausgenützt www.sozialistische-revolution.org/phpwcms/index.php?id=31,891,0,0,1,0

(4) Michael Pröbsting: Rassismus, Migration und revolutionäre Integration; in: Unter der Fahne der Revolution (FAREV), Nr. 6, S. 19