Studie des Ministeriums beweist:

MigrantInnen werden bei Sozialleistungen ausgenützt

 

Von Michael Pröbsting


Ein aktueller Bericht des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz bestätigt den seit langem von MarxistInnen und fortschrittlichen Kräften vertretenen Standpunkt, daß MigrantInnen keineswegs den Sozialstaat „ausnützen“, sondern vielmehr ausgenützt werden. (1)

 

So zeigen die aktuellen Zahlen für das Jahr 2008, das MigrantInnen – im konkreten handelt es sich bei der Untersuchung um jene MigrantInnen, die ausländische StaatsbürgerInnen sind – NettoeinzahlerInnen in das Sozialsystem sind. Das Ministerium – Teil derselben SPÖ/ÖVP-Regierung, die eine permanente Verschärfung des Fremdenrechts und des staatlichen Rassismus betreibt – sieht sich trotz ihrer gegen MigrantInnen gerichteten Politik gezwungen, angesichts dieser offensichtlichen Faktenlage zu schlußfolgern:

AusländerInnen tragen in einem höheren Ausmaß zur Finanzierung der Sozialleistungen bei als sie Leistungen erhalten. Sie sind sogenannte NettozahlerInnen.

Der auf der Homepage des Ministeriums veröffentlichte Artikel führt dazu folgende Fakten an:

 

ÖsterreicherInnen zahlen 89,3 Prozent aller Beiträge für die v.a. beitragsfinanzierten Sozialschutzsysteme, d.h. Beiträge für die Pensionsversicherung, Krankenversicherung, Unfallversicherung, Arbeitslosenversicherung und den Familienlastenausgleichsfonds. Ihr Anteil an den erhaltenen Geldleistungen beträgt 93,8 Prozent. Das heißt, die erhaltenen Leistungen übersteigen die von ihnen geleisteten Beiträge.


Bei den AusländerInnen verhält es sich umgekehrt: Sie zahlen 10,7 Prozent aller Beiträge, während ihr Anteil an den Geldleistungen bei 6,2 Prozent liegt. Somit sind AusländerInnen bei den v.a. beitragsfinanzierten Sozialleistungen deutliche NettozahlerInnen.

 

Darüberhinaus findet die Benachteiligung von MigrantInnen auch auf Ebene von Sachleistungen statt, auch wenn sich das Ministerium nicht in der Lage sieht, diese zu beziffern.

 

Neben Geldleistungen spielen auch Sachleistungen eine Rolle. Dies trifft vor allem für den Gesundheitsbereich, in geringerem Ausmaß für den Familienbereich, zu. Beispielsweise können angeführt werden: Für die Krankenversicherung Behandlungen im Krankenhaus und bei niedergelassenen ÄrztInnen, für die Unfallversicherung Unfallheilbehandlung, für den FLAF Freifahrten, Fahrtenbeihilfen und Schulbücher. Über deren genaue Verteilung liegen keine Daten vor, weil die Sachleistungen nicht personenbezogen in Geldwerten dargestellt werden.

 

Die Revolutionär-Kommunistische Organisation zur Befreiung (RKOB) hat bereits vor einem Jahr in ihrer Zeitung BEFREIUNG auf diese Ausbeutung der MigrantInnen beim Sozialsystem hingewiesen. Basierend auf den damals vorliegenden Zahlen schrieben wir: „Dies galt bereits früher und wird auch durch eine neue Statistik, welche sich mit den Sozialbeiträgen von MigrantInnen befasst, wieder gezeigt. Migranten und MigrantInnen haben im Jahr 2008 4,2 Mrd. Euro an Sozialbeiträgen einbezahlt (2,2 Mrd. für Pensionen und 2 Mrd. für andere Leistungen) und Sozialleistungen im Wert von nur 2,7 Mrd. Euro in Anspruch genommen (1 Mrd. für Pensionen und 1,7 Mrd. für andere Leistungen).“ (2)

 

Die Lüge von den Sozialstaatsschmarotzern


Diese Zahlen von höchst offizieller Seite bestätigen einmal mehr, daß das Geschwätz von Strache und anderen rassistischen Hetzern von den „Ausländern“, die den „Sozialstaat ausnützen“ eine Lüge sind. In Wirklichkeit ist es umgekehrt: die MigrantInnen werden vom kapitalistischen Staat ausgebeutet.

 

Der Teil der MigrantInnen, um den es bei dem von Ministerium angeführten Beispiel der Überausbeutung geht, sind jene MigrantInnen, die ausländische StaatsbürgerInnen sind. Laut den neuesten Statistiken leben in Österreich gegenwärtig (Stichtag 1. Januar 2010) rund 895.000 „AusländerInnen“ – also Personen, die keine österreichische Staatsbürgerschaft haben. Dies entspricht einem Anteil von 10.7% an der Gesamtbevölkerung (8,375 Millionen). Unter den Erwerbstätigen machen ausländische StaatsbürgerInnen rund 12% aus. (3)

 

Nationale Unterdrückung und systematische Überausbeutung


Wir haben in unserer Analyse der Unterdrückung der MigrantInnen wiederholt darauf hingewiesen, daß das kapitalistische System die MigrantInnen aufgrund ihrer nationalen Herkunft unterdrückt und auf unterschiedliche Weise überausbeutet. Einer dieser Bereiche ist die Ebene des Sozialsystems. (Andere Bereiche sind die schlechtere, unterdurchschnittliche Entlohnung in der Arbeitswelt sowie die Nutzung der von den MigrantInnen in ihrem Heimatland bezogenen Ausbildung, für die heimischen KapitalistInnen nichts bezahlen.)

 

Die Zahlen von 2008 sind keineswegs eine Ausnahme. Im Gegenteil, wie wir in unserer Studie zur Lage der MigrantInnen in Österreich zeigen, findet diese Überausbeutung seit Jahrzehnten permanent statt. (4)

 

Bereits im Jahr 2007 gab der damalige Sozialminister Buchinger bekannt, daß die in Österreich beschäftigten ausländischen Staatsbürger damals rund 1.6 Milliarden Euro in die Sozialversicherung einzahlten, jedoch nur 0.4 Milliarden ausbezahlt bekommen. Übrig bleibt also ein jährlicher Netto-Gewinn des Staates – im Fall von 2007 waren das 1.2 Milliarden Euro. (5) Die Jahre 2008 und 2007 sind hier keineswegs eine Ausnahme. Im Jahr 1993 zum Beispiel war der Betrag, den AusländerInnen netto mehr in das Sozialsystem einzahlten, 5.6 Mrd. Schilling. (6)

 

Basis für Sozialchauvinismus


Diese Überausbeutung der MigrantInnen bildet eine materielle Basis für den kapitalistischen Staat, um zu versuchen, bei den inländischen ArbeiterInnen ein Interesse an der chauvinistischen Unterdrückung ihrer migrantischen KollegInnen zu wecken. Das unterdrückerische System der „Gastarbeiter“, welches von der KapitalistInnen und der Gewerkschaftsbürokratie im Rahmen der Sozialpartnerschaft in den 1960er errichtet wurde und ausländische Arbeitskräfte systematisch benachteiligt, bildet historisch eine wesentliche Grundlage für diese Überausbeutung der MigrantInnen und die sozialchauvinistische Politik der SPÖ- und ÖGB-Bürokratie.

 

Multinationale Einheit der ArbeiterInnenklasse gegen nationale Spaltung


Es ist entscheidend, die inländischen ArbeiterInnen für einen gemeinsamen Kampf für die vollständige Gleichberechtigung der MigrantInnen zu gewinnen. Der sozialistische Kampf für die Aufhebung jeglicher Form von Unterdrückung und Benachteiligung ist die Voraussetzung dafür, um jegliches Mißtrauen und alle Hindernisse zwischen den verschiedenen nationalen Teilen der ArbeiterInnenklasse zu überwinden. Der marxistische Theoretiker und Führer der Oktoberrevolution Wladimir Illich Lenin betonte diesen Gesichtspunkt für die Herausbildung einer tatsächlich internationalistischen Solidarität:

"Wer die Gleichberechtigung der Nationen und Sprachen nicht anerkennt und nicht verteidigt, wer nicht jede nationale Unterdrückung oder Rechtsungleichheit bekämpft, der ist kein Marxist, der ist nicht einmal ein Demokrat. Das unterliegt keinem Zweifel." (7)

 

Denn die nationale Unterdrückung der MigrantInnen und die daraus resultierende Überausbeutung schaden auch den inländischen ArbeiterInnen. Eine durch den Rassismus gespaltene ArbeiterInnenklasse ist eine geschwächte ArbeiterInnenklasse. Doch nur eine geeinigte, multinationale ArbeiterInnenklasse kann erfolgreich gegen die Angriffe der KapitalistInnenklasse und für eine sozialistische Befreiung kämpfen.

 

Deswegen treten wir von der Revolutionär-Kommunistische Organisation zur Befreiung für die Umwandlung der Gewerkschaften in Organe, die alle Teile der ArbeiterInnenklasse – und v.a. ihre unterdrücktesten Teile – umfaßt und für ihre Interessen kämpft und nicht vorrangig die besser bezahlten, häufig inländischen Teile. Ebenso kämpfen wir für den Aufbau einer multinationalen revolutionären ArbeiterInnenpartei ein, die migrantische und inländische ArbeiterInnen und Jugendlichen in ihren Reihen vereinigt.

 

Anmerkungen:

(1) AusländerInnen und der Sozialstaat Österreich. AusländerInnen zahlen mehr in das Sozialsystem ein als sie heraus bekommen. http://www.bmsk.gv.at/cms/site/dokument.html?channel=CH0106&doc=CMS1255697765939

(2) Johannes Wimmer: MigrantInnen und das Sozialsystem: Rechte Lügen und linke Wahrheit! In: BEFREIUNG Nr. 182, Dezember 2009

(3) Siehe Statistik Austria und Kommission für Migrations- und Integrationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften: Migration & Intergration. Zahlen.Daten.Indikatoren 2010 (2010), S. 8 bzw. 52

(4) Siehe Michael Pröbsting: Rassismus, MigrantInnen und revolutionäre Integration, in: Unter der Fahne der Revolution (FAREV)Nr. 6 (2010), S. 29; Das FAREV ist das theoretische Organ der LSR

(5) Siehe Hans Gmundner: Straches Handlangerdienste, KPÖ, 10.11.07, http://www.kpoe.at/index.php?id=23&tx_ttnews[tt_news]=105&tx_ttnews[backPid]=2&cHash=7fe484e968

(6) siehe Gudrun Biffl: Die Zuwanderung von Ausländern nach Österreich. Kosten-Nutzen-Überlegungen und Fragen der Sozialtransfers (1997), WIFO,  S.8

(7) W. I. Lenin, Kritische Bemerkungen zur nationalen Frage, Werke, Bd.. 20, S.13