Zur Debatte über die Wehrpflicht

Anmerkung der Redaktion: Unsere Organisation RKOB wurde von Mitgliedern, die vormals in der Liga für die Fünfte Internationale (LFI) organisiert waren gegründet. Den folgenden Text  zählt RKOB somit zu ihrem programmatischen Erbe.

Von Michael Märzen, LSR (Österr. Sektion der LFI)

http://www.sozialistische-revolution.org/

Kurz vor den Wiener Wahlen überraschte die SPÖ mit Häupl im Rampenlicht mit dem Vorschlag der Abschaffung der Wehrpflicht. Böse Zungen behaupten, dies wäre aus taktischen Gründen in Bezug auf die Wahlen geschehen, was ja wohl nicht ausgeschlossen werden kann. Trotzdem stellt sich die Frage „Milizsystem oder Berufsheer“ so ernsthaft wie schon lange nicht. Für spätestens März 2011 ist auch eine Volksbefragung dazu geplant.

Warum will die SPÖ die Wehrpflicht abschaffen?

Die Forderung der SPÖ nach einem Berufsheer ist neu. Dementsprechend gibt es darüber auch keine einheitliche Auffassung. Während sich Häupl, Faymann und die Parteispitze über eine Volksabstimmung einig sind, halten zum Beispiel Darabos oder Heinz Fischer immer noch an der Wehrpflicht fest. Natürlich durfte Michael Häupl die Neuigkeit gleich verkündet, was den Verdacht auf ein Wahlkalkül bestärkt. Doch das alleine ist bestimmt keine ausreichende Begründung für den Stimmungsschwank der Parteispitze.

Die Tendenz von Milizsystemen auf Berufsheere zu wechseln, ist eigentlich schon seit Jahrzehnten erkennbar. Die USA, beispielsweise, haben schon nach dem Vietnamkrieg die Wehrpflicht abgeschafft. Österreich ist eines von sechs EU-Staaten welches noch ein Milizsystem erhält. Die Bestrebungen der Abkehr von der allgemeinen Wehrpflicht sind für imperialistische Staaten eine höhere Effizienz der Berufssoldaten zur Ausplünderung und Unterwerfung der halbkolonialen Welt. Ebenso gilt es – besonders vor dem Hintergrund des ökonomischen Niedergangs des Kapitalismus – die Isolierung der bewaffneten Staatsmacht vom Rest der Bevölkerung. Das bedeutet schlussendlich auch eine höhere Effizienz in der Unterdrückung der eigenen Bevölkerung. So hat schon die Habsburger-Monarchie nicht österreichische Soldaten zur Unterdrückung von Aufständen im ersten Weltkrieg, sondern Soldaten aus den anderen Kronländern (Tschechen, Kroaten usw.) eingesetzt. Die Monarchie hoffte, dass es dadurch nicht zur Solidarisierung zwischen Soldaten und Protestierenden kommt, was meistens auch zutraf.

Die Rolle der Armee in der kapitalistischen Gesellschaft

Revolutionäre haben in der Frage der Wehrpflicht eine feste Position. Die Armee ist in der bürgerlichen Gesellschaft ein Instrument zur Unterdrückung, um die Klassenherrschaft aufrecht zu halten und zu festigen. Sei es in Kriegen um Rohstoffe, Absatzmärkte und Einflusssphären, oder sei es die Unterdrückung im eigenen Land. Somit ist auch das österreichische Bundesheer ein Repressionsapparat, welcher dem Interesse der Bourgeoisie dient. Alle „Nebenfunktionen“ welche das Heer rechtfertigen sollen oder ihm eine gewisse Anerkennung verschaffen – wie z.B. der Katastrophenschutz – sind nichts anderes als Augenauswischerei. Funktionen wie diese können ohne weiteres von zivilen Einrichtungen übernommen werden.

Auch sogenannte „humanitäre Hilfseinsätze“ sind in Wahrheit Heuchelei. In diesen Einsätzen steht das Bundesheer oftmals auf Seiten kämpfender Truppen (NATO, ISAF in Afghanistan, europäische Streitkräfte) und unterstützen diese, indem sie zum Beispiel für Nachschub sorgen oder Infrastruktur schaffen, welche den Kriegszielen dienen. Hilfe für ZivilistInnen geschehen eher halbherzig aus Propagandazwecken oder um die Abhängigkeit des Landes zu verstärken. Unter diesen Umständen ist auch die hoch angepriesene Neutralität nichts anderes als Scheinheiligkeit.

Die Stellung von SozialistInnen

Das Ziel von revolutionären SozialistInnen ist der Sturz des Kapitalismus durch eine Revolution und den Aufbau des Sozialismus. Das Heer eines jeden kapitalistischen Staates steht diesem Ziel mit Gewalt entgegen. Aus diesem Grund lehnen wir jede bürgerliche Armee – in welcher Form auch immer – ab. Auch haben wir keine Illusionen in Slogans von De-Militarisierung und Abrüstung. Im Kapitalismus wird es immer einen bewaffneten Repressionsapparat geben, der darauf gedrillt ist, die Befehlskette blind zu befolgen und in dem jegliche demokratische Mitbestimmung ausgeschlossen ist. Unmittelbar treten wir für die Demokratisierung der Befehlsstrukturen und die damit einhergehende Möglichkeit der Abwahl von Offizieren ein. Ebenso treten wir für die vollen demokratischen Rechte der Soldaten innerhalb des Heeres ein.

Dem Konzept eines von der Bevölkerung abgehobenen Heeres stellen wir eigene bewaffnete Formationen der ArbeiterInnenklasse, sogenannte ArbeiterInnenmilizen, gegenüber welche die Errungenschaften des Proletariats im Klassenkampf verteidigen sollen und auch von der Basis her kontrollierbar sein müssen. Auch das österreichische Bundesheer ist aus einem Volksheer entstanden, das sich während der Auflösung der Habsburger-Monarchie vor allem aus sozialdemokratischen Kräften und Soldatenräten rekrutiert hat und dann aus Angst vor einer breiten Gegenwehr 1919 in ein Berufsheer eingegliedert wurde.

Die LSR verteidigt weder die eine Form des Militarismus – das auf allgemeiner Wehrpflicht beruhende Heer – noch die andere Form des Militarismus – das Berufsheer. Beide Formen des Heeres wurden wiederholt gegen die ArbeiterInnenklasse im eigenen Land sowie gegen unterdrückte Völker eingesetzt. Daher bekämpfen wir beide Formen des Militarismus, ohne eine davon kritisch zu unterstützen.