Die Unterdrückung der Roma in Osteuropa

Eine marxistische Analyse und Strategie zur Befreiung der Roma

 

Die RKOB veröffentlicht anlässlich des "Tages der Roma" eine Woche lang jeden Tag jeweils einen Teil unserer Broschüre "Die Unterdrückung der Roma in Osteuropa"!

 

Von Michael Pröbsting

 

    Vorwort der Auflage von 2011

 

 

Die Revolutionär-Kommunistische Organisation zur Befreiung (RKOB) legt hiermit eine Broschüre vor, die ursprünglich 2003 geschrieben und veröffentlicht wurde. Eine Übersetzung erschien damals im gleichen Jahr in „Fifth International“ (Nr.1), dem englisch-sprachigen Journal der “Liga für die Fünfte Internationale” (LFI), deren Mitglied der Autor, Michael Pröbsting, damals war. Anlaß der Befassung mit der Lage der Roma in Osteuropa war damals die Solidaritätsarbeit für den verhafteten Roma und Antifaschisten Mario Bango, in der Pröbsting aktiv war. Vor diesem Hintergrund setzte er sich genauer mit der Unterdrückung der Roma in Osteuropa auseinander.

 

Das Ziel der Broschüre besteht darin, eine Lücke im marxistischen Theoriearsenal zu füllen. Viele haben zwar von der Verfolgung der Roma gehört - sowohl in der Geschichte als auch in der Gegenwart. Es wurde auch bereits eine Reihe von Artikeln zu dieser Frage v.a. von Menschenrechtsorganisationen und bürgerlichen Roma-AktivistInnen publiziert. Doch von marxistischer Seite existiert zu dieser Frage weitgehend gähnende Leere.

 

Diese Broschüre versucht also eine Lücke in der marxistischen Theorie zu füllen. Ihr Ziel besteht darin, erstens eine Definition der gesellschaftlichen Stellung der Roma in der Geschichte des ausgehenden Mittelalters und des aufsteigenden Kapitalismus zu liefern, zweitens eine Analyse der Stellung der Roma in der stalinistischen Gesellschaft und drittens ihrer Lage in der gegenwärtigen kapitalistischen Gesellschaft in Osteuropa nach 1989. Abschließend legen wir unsere Überlegungen zum nationalen Charakter der Roma sowie einer revolutionären Strategie zur Befreiung der Roma dar.

 

Die Aktualität dieser Arbeit ergibt sich in erster Linie aus der Unterdrückung und Verfolgung der Roma, die sich seit der Erstellung dieser Broschüre noch weiter verschlimmert hat. (1) Der Text ist aber auch deswegen von Interesse, als er in der Frage der Assimilation von nationalen und ethnischen Minderheiten eine marxistische, der Tradition der Bolschewiki entsprechende, Linie vertritt. Der ursprüngliche Kern der Mitglieder der RKOB wurde Anfang April 2011 aus der LFI (die Sektion in Österreich heißt Liga der Sozialistischen Revolution, LSR) ausgeschlossen. Eine der wichtigsten politischen Fragen, die zu diesem Ausschluß führte, war die Verteidigung einer internationalistischen, revolutionären Grundhaltung in der Frage der Assimilation durch die späteren RKOB-GenossInnen. Die jetzige Mehrheit der LFI-Führung vertritt den Standpunkt, daß Assimilation, die Auflösung der ethnischen oder nationalen Minderheiten in die herrschende nationale Mehrheitsbevölkerung, etwas Fortschrittliches sei und dementsprechend die Forderungen ein Schwergewicht auf die Erleichterung dieser Assimilation der Minderheit in die herrschende Nation legen sollte.

 

Die damalige LFI-Minderheit und jetzige RKOB vertrat und vertritt dagegen folgende Haltung: Wir sind Gegner jeglicher auf Assimilation abzielender Politik. Unter Assimilation von MigrantInnen verstehen wir und wird in der Regel verstanden, daß sich die Minderheiten an die herrschende Nation durch Aufgabe ihrer nationalen Eigenheiten (Sprache, Kultur usw.) anpassen. Die Assimilationspolitik ist für den imperialistischen Staat, der in der Regel ein Nationalstaat ist, typisch. Assimilation im Kapitalismus ist mit offener oder versteckter, direkter oder indirekter Unterdrückung verbunden. Assimilation bedeutet Unterordnung der nationalen Minderheit unter die Mehrheit mit den Mitteln des Drucks. Sie ist daher reaktionär und widerspricht dem proletarischen Internationalismus. Ebensowenig fördern wir die nationale Abschottung der verschiedenen nationalen Gruppen voneinander.

 

Die Haltung der KommunistInnen lautet: Gegen die Assimilationspolitik und gegen die Politik der nationale Abschottung! Für die revolutionäre Integration! Die Strategie der revolutionären Integration strebt die Annäherung und Verschmelzung der verschiedenen Nationen an. Während KommunistInnen die Assimilation weder direkt noch indirekt unterstützen sollten, befürworten wir eine Annäherung der ArbeiterInnen der verschiedenen Nationen durch den Klassenkampf und schließlich der Verschmelzung, dem Zusammenwachsen der Nationen im Sozialismus als etwas höchst Progressives. Diese Annäherung kann nur den gemeinsamen Kampf der multinationalen ArbeiterInnenklasse auf Grundlage eines Programms des Klassenkampfes für die sozialistische Revolution erzielt werden, das als ein Prinzip die „völlige Gleichberechtigung aller Nationen und Sprachen“ beinhaltet. (2) Denn zur Verschmelzung der Nationen führen nur die wirkliche Befreiung der unterdrückten Nationen, die wirkliche Entwurzelung der nationalen Unterdrückung und die völlige Gleichstellung der Nationen. Die Voraussetzung dafür ist die Machtergreifung der ArbeiterInnenklasse und der internationale Aufbau des Sozialismus.

 

Diese marxistische, internationalistische Haltung der RKOB zieht sich auch durch die hier vorliegende Broschüre zu den Roma. Wie wir schreiben, ist „für uns MarxistInnen ist die Schaffung von Nationen kein Ziel an sich.“ Gleichzeitig verurteilen wir die Politik der herrschenden Bürokratie in den stalinistischen Staaten (ebenso wie die der seit 1989 herrschenden kapitalistischen Klassen), die eine Assimilation der Roma anstreben: „Doch der stalinistische Staat weigerte sich – seiner bürokratischen Assimilationspolitik entsprechend –, die Sprache der Roma anzuerkennen und zu fördern. Daher wurden keine Literatur und keine Schulbücher in Romanes gedruckt und natürlich auch nicht die Roma-Sprache in der Schule unterrichtet. Kein Wunder, daß viele Roma-Kinder in Sonderschulen landeten!

 

KommunistInnen sollen daher – wie es in der Broschüre heißt – „für die größtmögliche Freiheit der sozialen und kulturellen Entwicklung eines Volkes kämpfen.“ Daher treten wir dafür ein, daß der Kampf für die Befreiung der unterdrückten Minderheiten neben zahlreichen sozialen und wirtschaftlichen Forderungen (wie z.B. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, öffentliche Beschäftigungsprogramm) auch Forderungen beinhalten muß, die den nationalen Minderheiten die Ausübung ihrer Kultur, Sprache usw. ermöglicht. Daher haben die GenossInnen der jetzigen RKOB die Losung des Rechts auf Muttersprache für MigrantInnen in den Schulen, Ämtern usw. entwickelt. Die gleiche Haltung steckt hinter der in der vorliegenden Broschüre dargelegte Forderung: „Für die Anerkennung von Romanes als gleichberechtigte Sprache in den Schulen, Lernbüchern, Medien, bei offiziellen Behörden usw.! Dafür müssen auch entsprechende Finanzmittel, ausgebildetes Personal usw. zur Verfügung gestellt werden!

 

Für die Revolutionär-Kommunistische Organisation zur Befreiung ist der internationalistische Kampf gegen die Unterdrückung der Roma – so wie gegen jede Form der nationalen Unterdrückung – ein zentraler Bestandteil unseres Programms. Wir legen daher die Broschüre von Michael Pröbsting, der heute Mitglied der RKOB ist, neu auf.

 

RKOB, April 2011

 

Anmerkungen:

(1) Siehe dazu die aktuellen Artikel von Nina Gunić: „Der Tag der Roma – eine Heuchelei“ (April 2011, http://www.rkob.net/gegen-unterdr%C3%BCckung/minderheiten/roma/) sowie von Michael Pröbsting: Sarkozy's attack on Roma: Deporting hundreds to poison the minds of millions (August 2010, http://www.fifthinternational.org/content/sarkozys-attack-roma-deporting-hundreds-poison-minds-millions)

(2) W. I. Lenin: Resolution zur nationalen Frage (1913); beschlossen auf der Sommerberatung des Zentralkomitees der SDAPR; in: LW 19, S. 420