Dostojewskis Aufzeichnungen aus dem Kellerloch

Die Geschichte eines soziopathischen und bösartigen Menschen

Anmerkung der Redaktion: Unsere Organisation RKOB wurde von Mitgliedern, die vormals in der Liga für die Fünfte Internationale (LFI) organisiert waren gegründet. Den folgenden Text  zählt RKOB somit zu ihrem programmatischen Erbe.

Eine Buchbesprechung von Peter Vidlak, Liga der Sozialistischen Revolution (Österr. Sektion der Liga für die Fünfte Internationale)

http://www.sozialistische-revolution.org/

 „Nach Macht, nach Macht verlangte mich damals; es verlangte mich danach, mein Spiel zu treiben, dich zum Weinen zu bringen, dich zu demütigen, hysterische Krämpfe bei dir hervorzurufen, das war es, wonach mir damals verlangte!“ (Aufzeichnungen aus dem Kellerloch, 1864)

 „Wer sich selbst hasst, den haben wir zu fürchten, denn wir werden die Opfer seines Grolls und seiner Rache sein.“ (Friedrich Nietzsche, Morgenröte, 1881)

Ich bin ein kranker Mensch … ich bin ein schlechter Mensch. Ich besitze nichts Anziehendes.“

Mit diesen Worten beginnen die, laut Friedrich Nietzsche ein „wahrer Geniestreich der Psychologie“, „Aufzeichnungen aus dem Kellerloch“ des russischen Dichters Fjodor Dostojewski. Seit ihrer Erscheinung 1864 prägte die romanhafte Erzählung große Teile der russischen und europäischen Literatur.

Im ersten Teil „Das Dunkel“, des in zwei erzählerisch und stilistisch getrennte Teilen des Romans, der essayistisch verfasst ist, läßt Dostojewski seinen Namenlosen Ich-Erzähler, einer ehemaligen Bekannten, Anfang 40 über sein Leben, seine Ansichten und seine Bosheit resümieren. Es ist die Erzählung eines krankhaften Egoisten. Eines bösen,, zynischen Moralisten schlimmster Prägung, zerrieben zwischen extremer Eigenliebe und Selbsthass. Eines Menschen der von bösartigem Narzissmus getrieben wird. Einer Person die alles und jeden hasst. Wie er selbst erzählt verkehrt er mit Niemanden. Er braucht keine Gesellschaft, lebt aber mit seinem Kammerdiener Apollon, vor dem er sich fürchtet zusammen. Nach einer kleinen Erbschaft kündigt er seine Arbeit, die er natürlich auch hasst. Auch sieht er sich selbst weitaus höher als alle anderen Menschen, die für ihn nur Würmer sind. Er ist auch der Meinung besonders hoch gebildet zu sein und sieht sich über den Dingen stehend, hat alles Wissen der Welt gepachtet. Er beschreibt sich selbst als bösartig, verkommen, hässlich und feige. Hauptziel seiner polemischen und scharfen Analysen ist der „moderne Mensch“ und die von ihm geschaffene Gesellschaft, die er bitter und zynisch kommentiert und gegen die er Aggression und Rachsucht aufbaut.

Außerdem liebt er den Schmerz und sieht sich gern als Leidender. Denn seinen eigenen Verfall sieht er als natürlich und Notwendig an. Seine Ausdrucksweise ist betont gekünstelt. Auch wendet sich der Erzähler wiederholt an ein nicht näher bezeichnetes Publikum, dessen Fragen er vorwegzunehmen versucht. Dieser Protagonist ist wohl die einzige literarische Figur Dostojewskis, die durchgehend unsympathisch und negativ bleibt. An dieser Figur ist tatsächlich nichts Positives, nicht Liebenswertes. So wie Dostojewski seinen Ich-Erzähler am Beginn der Erzählung auch sprechen lässt.

Im zweiten Teil, den der Autor mit „Wasserschnee“ betitelte und im erzählerischen Stil hielt, werden verschiedene, schon 20 Jahre zurückliegende Episoden aus dem Leben des reaktionären Ich-Erzählers geschildert. Sein Scheitern auf beruflicher und persönlicher Ebene, sowie im zwischenmenschlichen Bereich. Es zeigt einen Menschen, der ständig auf Streit aus ist, andere zu beleidigen versucht und mit seinen reaktionären Gedanken vor den Kopf zu stoßen. Eine Episode beschreibt etwa ein Treffen mit alten Schulfreunden, die er natürlich verachtet, die sich im Gegensatz zu ihm selbst alle in gehobenen Postionen befinden. Natürlich sucht er auch bei diesen Zusammentreffen nur Streit und Missgunst. Beleidigt ständig seine ehemaligen Schulfreunde und versucht sie sogar zu einem Duell herauszufordern. Aber sie ignorieren seine Worte und begegnen ihm mit Herablassung und Nichtbeachtung. Seine Aggressionen richten sich daraufhin gegen ihn selbst und er bemüht sich sich selbst noch weiter zu erniedrigen. Gleichzeitig lässt er sich an noch tiefer stehenden Menschen aus. Als er die mittellose Prostituierte trifft inszeniert er sich als möglicher Retter und Wohltäter. Er hält ihr eine bösartige Moralpredigt voll bösem Zynismus. Er will sie unbedingt mit seinen Worten quälen und erfreut sich an ihrem seelischen Schmerz. Er hasst sich dafür selbst, aber zugleich geniest er ihren Schmerz. Als Lisa aber durch seine Worte Hoffnung zu schöpfen beginnt weist er sie kaltblütig zurück und macht sich über ihre Lage lustig.

Dostojewski selbst fügte den Aufzeichnungen einen kurzen Kommentar bei, der darauf hinweist, dass Figuren und Handlung zwar erfunden seien, bei den Zuständen der zeitgenössischen Gesellschaft jedoch nicht nur möglich, sondern sogar unausbleiblich seien.

Entstehung

Dostojewski schrieb diesen Text im Winter 1863/64 in Moskau. Er litt in dieser Zeit unter vielen epileptischen Anfällen und anderen langwierigen Erkrankungen; seine Finanzlage war aufgrund von Spielschulden, die er kurz zuvor in Bad Homburg gemacht hatte, desolat.

Die Zeitschrift Epocha, in der die Aufzeichnungen schließlich erschienen, wurde ab März 1864 von seinem Bruder Michail herausgegeben. Da sie weniger liberal ausgerichtet war als die Vorgängerzeitschrift Vremja, litt sie unter zurückgehenden Leserzahlen.

Die Veröffentlichung eines Textes, der derart unpopuläre Ideen enthielt und sich offen gegen Modeerscheinungen wie Tschernyschewskis Roman stellte, wurde so zu einem Risiko für die Zeitschrift selbst. Dostojewski war von der Qualität der Aufzeichnungen jedoch überzeugt und sprach in der Planungsphase seinem Bruder gegenüber von einem „starke[n] und freimütige[n]  Werk“, dessen Analysen „die Wahrheit“ seien.

Die Aufzeichnungen wurden zunächst vor allem als psychologische Studie wahrgenommen.

Zu den ersten Bewunderern zählte Friedrich Nietzsche, der damit nachhaltig eine ausgiebige Rezeption im deutschsprachigen Raum auslöste.

Für Nietzsche, waren die „Aufzeichnungen“ die erste Begegnung mit Dostojewski. Auch wurden die „Aufzeichnung“ als Angriff auf Tschernyschewskis Roman Was tun? (erschienen 1863) wahrgenommen, der sich in optimistischer Weise mit den Möglichkeiten einer Gesellschaft aus idealistischen, progressiven Menschen beschäftigt und in ganz Europa zu dieser Zeit bei Sozialisten und Revolutionären außerordentlich populär war. Historischer Hintergrund hierfür war eine Fortschrittsgläubigkeit, die aus einflussreichen zeitgenössischen Errungenschaften auf dem Gebiet von Technik und Naturwissenschaften etwa der Evolutionstheorie gegründete und auf soziale Vorgänge übertragen wurde. Diese Denkweise ist ein zentraler Angriffspunkt der zynischen Analysen des namenlosen Erzählers der Aufzeichnungen , was diese in der damaligen Zeit zumindest inopportun machte.

In der Literaturwissenschaft gab es widerholt Versuche, Parallelen zwischen den Figuren der Aufzeichnungen und verschiedenen Charakteren aus Dostojewskis später erschienen Romanen zu ziehen. Die Prostituierte Lisa wurde etwa als Prototyp für die Figur der Sonja in Schuld und Sühne  gelesen. Der Erzähler selbst wiederum weißt in seiner Art, Gedankenexperimente und Vernunft über Moral zu stellen und damit schließlich bei sich selbst einen unlösbaren Gewissenskonflikt auszulösen, Parallelen zu Raskolnikow oder zu Nikolai, Stawrogin aus den Dämonen auf.

Aber ganz ehrlich, ein jeder von uns kennt so einen Menschen voller reaktionärer Gedanken wie der solchen beschriebenen Person. Solche Menschen gab und gibt es in jeder Gesellschaftsform.

Und es sagt absolut gar nichts aus über den Autor und seine Absichten.  Man sollte die „Aufzeichnungen“  so lesen wie sie auch sind: Einfach eine Erzählung über eine absolutes Ekel. Nicht mehr uns nichts weniger.

Aber lassen wir den Autor im letzen Absatz der „Aufzeichnungen“ selbst sprechen und lesen wir was er von seinem Ich – Erzähler selbst hält:

„Übrigens enden hier die Aufzeichnungen dieses Liebhabers paradoxer Behauptungen hier doch noch nicht. Er hat sich nicht beherrschen können und hat weitergeschrieben – Aber auch uns scheint es, dass wir hier abbrechen können.“ (Fjodor Dostojewski, 1864)