Interview über die Diktatur von General Sisi in Ägypten

Interview von RED*REVOLUTION mit Rami Ali, Obmann der Ägyptisch-Österreichischen Jugend, Juli 2014, www.rkob.net und www.redrevolution.at

 

Im Folgenden veröffentlichen wir ein Interview, das Marc Hangler, Sprecher der Jugendorganisation RED*REVOLUTION, mit Rami, dem Obmann der Ägyptisch-Österreichischen Jugend, führte.

 

Marc: Hallo Rami, stell dich bitte kurz vor und erzähl uns etwas von deiner Organisation!

Rami: Ich bin Rami Ali und bin 21 Jahre alt. Meine Familie ist von ägyptischer Abstammung, mein Vater kam vor 40 Jahren nach Österreich, und hier wurde ich auch geboren. Ich studiere Politikwissenschaften, derzeit bin ich im 4. Semester. Ich engagiere mich stark in der Ägyptisch-Österreichischen Jugend. Wir wollen unsere Community stärken und unterstützen ägyptische MigrantInnen wo es uns möglich ist. Es ist uns sehr wichtig die gängigen Klischees zu beseitigen, dazu machen wir auch verschiedene Veranstaltungen. Einmal gab es zum Beispiel eine Podiumsdiskussion zum Thema „Sharia und demokratischer Verfassungsstaat“. Dazu haben wir Leute mit verschiedenen Weltanschauungen eingeladen, die dann sachlich dazu diskutiert haben. Das war ein guter Schritt, um den ganzen negativen Medienberichten etwas entgegen zu setzten. Leider fehlt klar die ausgewogene Berichterstattung zu Themen, wie „Islamismus“ oder „Sharia“ und so weiter… Das trifft uns als Österreicher und Österreicherinnen mit ägyptischem Migrationshintergrund und (zum Großteil) islamischen Glaubensbekenntnis doch sehr.

 

Marc: Vor kurzem haben die Präsidentschafts-Wahlen in Ägypten stattgefunden. Im Vorfeld dazu wurde immer wieder von Aufrufen zum Boykott der Wahlen berichtet. Gleichzeitig wurde vom ägyptischen Staat das Fernbleiben von den Wahlen unter Strafe gestellt, gepaart mit einer großen Medienkampagne um das Volk einzuschüchtern, und ja nicht von den Wahlen fern zu bleiben. Was zeigt uns die Wahlbeteiligung, die trotz allem so gering ist?

Rami: Diese offiziellen Zahlen der Wahl erinnern stark an die alte Zeit der Militärdiktatur unter Mubarak. Das Nicht-Wählen wurde unter eine Strafe von 500 Pfund gestellt. Das ist eine Summe, die sie die normale Bevölkerung niemals einfach so leisten kann. Trotzdem war diese Wahl durch viele Widersprüche gekennzeichnet. Ein Beispiel: Hätten sich wirklich so viele Leute bei der Wahl beteiligt, dann müssten durchschnittlich 55 Wähler pro Stunde bei jedem Wahllokal gewesen sein, fast einer pro Minute. Diese „Menschenschlangen“ waren nirgends zu sehen, auch nicht in den offiziellen Kanälen des Staatsfernsehens und selbst das, hat die EU in ihrem Abschlussbericht auf so geschrieben. In meinen Augen ist die geringe Wahlbeteiligung ein klares Zeichen demokratischer Reife des ägyptischen Volkes, vor allem aber, der ägyptischen Jugend. Es gibt viele verschiedene Angaben über die Wahlbeteiligung, die Moslembruderschaft und andere Organisationen sprechen von sogar nur 12%. Wären diese Wahlen unter freien, demokratischen Bedingungen gemacht worden, dann wäre wahrscheinlich die Muslimbrüderschaft, wie schon unter Mursi, als Sieger hervorgegangen. Schlicht und einfach weil sie die größte und organisierteste politische Kraft im Land darstellen.

 

Marc: Eine der Organisationen, die zum Boykott aufgerufen hat ist auch die Moslembruderschaft. Die Moslembruderschaft wurde massiv unterdrückt, vor allem nach dem Sturz des ersten demokratisch gewählten Präsidenten Morsi. Auf den Straßen von Kairo und ist es immer wieder zu Massakern gekommen, die den Widerstand der Moslembruderschaft brechen sollten. Wie haben die Ägypter reagiert?

Rami: Nach dem Militärputsch unter Sisi wurde der Medienapparat sofort auf das Militär ausgerichtet. Oppositionelle Sender wurden zensiert, alle muslimischen Sender wurden ausgeschaltet – da gab es wirklich nur mehr den „schwarzen Bildschirm“. Man muss ehrlich sagen, diese Maßnahmen haben Spuren in der ägyptischen Bevölkerung hinterlassen. Bei einer Analphabeten-Rate von 60% ist es für die normalen ÄgypterInnen schwer sich dem Medieneinfluss zu entziehen. Es gab dann „plötzlich“ Gerüchte, Obamas Bruder wäre der internationale Führer der Moslembruderschaft. Oder es werden Waffen in der Nähe des Erdkernes versteckt, von den Moslembrüdern. Damit wird natürlich der Hass auf diese Leute geschürt. Und daher muss man sagen, es gibt gegenwärtig klar zwei starke Lager: Pro-Sisi und Anti-Sisi. Damit muss aber nicht immer eine Sympathie für die Moslembruderschaft gemeint sein, denn sehr viele sakuläre und liberale Kräfte lehnen sowohl Moslembruderschafts als auch den Militärrat ab.

 

Marc: Einige Ägypterinnen und Ägypter leben im Ausland. Um zu überleben müssen viele von ihnen in reichen, westlichen, imperialistischen Ländern für dortige Großkonzerne arbeiten. Sehr oft leben sie unter schlechteren Bedingungen als die inländische Bevölkerung, obwohl diese Länder die Parolen „Demokratie, Gleichberechtigung, Wohlstand“ schwingen. Was denken ägyptische Migranten über die westliche „Demokratie“, für die General Sisi steht?

Rami: Dazu muss man sagen, dass die Medienpropaganda starke Wirkung ins Ausland hat. Auch die ägyptischen Migranten sind in verschiedene Lager geteilt. Viele Ägypter sind natürlich froh, über bessere Lebensbedingungen hier. Aber wirkliche Demokratie herrscht auch im Westen nicht, was nicht zuletzt am brutalen Vorgehen der österr. Polizei mancherorts zu erkennen ist. Nichtsdestotrotz sind wir über demokratische Elemente wie Parlamentarismus, Meinungsfreiheit (wenn auch beschränkt), Gewaltentrennung etc. unendlich froh, da es diese in unserem Vaterland nicht gibt.
Durch alle Communities außerhalb von Ägypten zieht sich ein starker Bruch – sehr oft passiert es dann auch, dass dann die Einreise nach Ägypten erschwert wird. Ich selbst stehe auf der Watchlist, und kann deswegen nicht einreisen.

 

Marc: Wie schätzt ihr den weiteren Verlauf der Arabischen Revolution ein? Würdest du sagen, die Arabische Revolution ist zurzeit in einer Rückzugs-Phase? Was sind die zentralen Lehren, die ihr aus den Erfolgen und Fehlern der Revolutionsbewegungen zieht?

Rami: Die Arabische Revolution befindet sich derzeit in einem taktischen Rückzug. Aber ich denke sie wird wieder kommen. Diesmal vielleicht durch eine Hungerrevolte. Ich glaube die arabische Bevölkerung konnte viel lernen! In Ägypten war ein klarer Fehler von Morsi, dass er eine Regierung der „Nationalen Einheit“ wollte. Es wäre aber notwendig gewesen, den Staatsapparat von den alten reaktionären Beamten zu säubern. Wir hätten eine revolutionäre Regierung gebraucht. Damit hätten wir uns viel Leid erspart. Aber es war noch nicht soweit – es fehlte eine revolutionäre Führung, die nicht auf halber Strecke aufhört. Ich denke aber, dass in Tunesien die Revolution klare Fortschritte machen konnte. Ich würde sogar sagen, sie ist schon fast geglückt. Wiederum in Ägypten haben wir jetzt die Konter-Revolution aus dem Bilderbuch!

Auch klar ein Versäumnis in Ägypten war die zu kurze Besetzung des Tahrir-Platzes. Damals bat das Militär um eine Verschnaufpause, und der Tarir-Platz wurde geräumt. Heute, nach den Massakern, wissen viele, das Militär war kein Freund und wird es auch nie sein. Aber heute hat auch die Jugend viel gelernt, und sie ist am meisten bereit für echte Demokratie.

 

Marc: Gutes Stichwort! Was ist damals schief gelaufen mit den verschiedenen Jugendbewegungen in Ägypten? Beispielsweise die Jugendbewegung 6.April setzte sich Anfangs für den Streik von Industriearbeitern ein. Sie gewann immer mehr Anhänger, nur um durch Illegalität praktisch von der Bildfläche zu verschwinden. Warum stecken Organisationen wie die Muslimbrüder weitaus schlimmere Schläge durch den Staat besser ein?

Rami: In meinen Augen muss man wirklich unterscheiden zwischen den Muslimbrüdern und den Jugendorganisationen. Die Moslembrüder existieren schon seit Jahrzehnten. Bewegungen wie der 6.April können auf solche Erfahrungen nicht zurückgreifen. Von daher kommt es auch, dass sich der 6.April einschüchtern ließ, und unter der Verfolgung durch den Staat zusammen brach. Ich schätze diese Jugendbewegung als modern, demokratisch und organisiert ein. Aber durch die geringen Erfahrungen die sie erst machen konnte, konnte sich nicht die Opferbereitschaft entwickeln, wie wir sie bei der Moslembruderschaft sehen können.

 

Marc: Wir haben vorher über das Regime der westlichen Großmächte in Form der „Demokratie“ geredet. Immer wieder ist es zu unfassbaren Massenmorden und Grausamkeiten durch imperialistische Armeen gekommen – zum Beispiel in Vietnam, Irak, Afghanistan, Libanon, Mali, Zentralafrika… All diese Angriffe geschahen unter dem Deckmantel der „Demokratie“. Wie beurteilt ihr die Haltung der westlichen Großmächte zur Arabischen Revolution?

Rami: Die westliche Demokratie ist durch und durch eine Heuchelei. Demokratie wird von den westlichen Staaten immer so gedreht, wie sie es gerade wollen und wird primär als Interesse an Stabilität definiert. Während wir uns darunter Dinge wie Redefreiheit, Versammlungsfreiheit, freie Wahlen usw. vorstellen geht es bei ihnen hauptsächlich um wirtschaftliche Interessen. Beispielsweise war Libyen der 4.-größte Importeur deutscher Waffen. Klar, dass Deutschland Angst um die „Demokratie“ in Libyen hatte, als Gaddafi gestürzt wurde! Auch in den westlichen Ländern geht es selbst nicht so  demokratisch zu wie es sich viele denken. Wohin man auch schaut, für den Westen geht es hauptsächlich um die Sicherung seiner Investitionen und der kontinuierlichen Aufrechterhaltung der Klassengesellschaft.

 

Marc: Ein weiterer Brennpunkt in der Arabischen Revolution ist eindeutig Syrien. Es gibt derzeit kein weiteres arabisches Land, das so viele Tote hin nehmen musste. Was denkst du über den Bürgerkrieg in Syrien?

Rami: Die Bevölkerung in Syrien ist klar gegen Assad. Auch hier fällt mir gerade kein syrischer Bekannter von mir ein, der nicht gegen ihn wäre. Die Diktatur dort muss ein Ende finden. Aber ich sehe auch, dass sich dieser Bürgerkrieg immer mehr in einen Stellvertreterkrieg zwischen den Großmächten verwandelt. Das muss verhindert werden!

Marc: Danke für deine Zeit, Rami. Wir freuen uns sehr über diese Gelegenheit, einen Sprecher der ägyptischen Community zu interviewen.